Die Weiterbildung am Institut für systemische Beratung in Wiesloch hat neben vielen inhaltlichen Erkenntnissen meiner Einschätzung nach vor allem den Benefit der Vernetzung. Und damit meine ich nicht nur das virtuelle Netzwerk sondern auch die im Nachgang entstehenden Supervisionsgruppen. Die eine oder andere läuft sich irgendwann aus, einige bestehen über Jahre. Und auch wenn meine inzwischen ausgelaufen ist, bin ich immer noch sehr dankbar für das strukturierte Vorgehen der kollegialen Beratung, das ich dort kennenlernte und über das ich jetzt einen Buchbeitrag schreiben konnte (in: Markus Schwemmle und Bernd Schmid (Hg) „Systemisch beraten und steuern live“ Göttingen 2009).
Für mich ist die Methode der kollegialen Fallberatung eine Möglichkeit, Seminare und Workshops interaktiv und erfahrungsorientiert zu gestalten – organisationsintern wie extern. Die Methode kann genutzt werden für die Er- und Bearbeitung unterschiedlichster Themen wie z.B. Kommunikations- und Konfliktmanagement, Projekt- oder Zeitmanagement oder innerhalb einer Führungskräfteentwicklung sowie anderer persönlichkeitsentwickelnder Maßnahmen.
In 60 bis 90 Minuten werden 7 Phasen durchlaufen:
- Kurz und knapp schildert der Ratsuchende seine herausfordernde Situation.
- So spezifisch wie möglich formuliert er abschliessend seine Schlüsselfrage.
- Die Kollegen beginnen „laut zu denken“ und tauschen sich aus über ihre inneren Bilder und Ideen, die sie beim zuhören bekamen – in Stichpunkten wird visualisiert.
- Der Ratsuchende nimmt zu den Ideen der Kollegen Stellung und erläutert kurz, welche Idee ihn am meisten angesprochen hat.
- Die Kollegen formulieren nun fokussiert konkrete Lösungsvorschläge – und visualisieren sie wieder in Stichpunkten.
- Der Ratsuchende gibt Feedback, welchen Lösungsvorschlag er am besten annehmen kann.
- Den Abschluss des Gesprächs bildet ein Blitzlicht, in dem jeder kurz von einer ähnlichen Situation erzählt, in der er „feststeckte“. Damit haben alle die Gewissheit „nicht alleine zu sein“ mit ihren Herausforderungen.
In einer konkreten Workshopsituation ist die Aufforderung, sich in Kleingruppen zusammen zu finden, aktivierend. Statt dem Vortrag eines Einzelnen zuhören zu müssen, erfährt jeder allein durch den notwendigen Stuhlwechsel eine Energiespende. Umso mehr, wenn die Bearbeitung einer eigenen konkreten (ggf. schon lange) schwierigen Situation ansteht. Kollegiale Fallberatung ist eine optimale Verzahnung von Lernen und Arbeiten. Betritt man als Außenstehender einen Raum, in dem so gearbeitet wird, fühlt man sich wie in einem Bienenkorb.
Ein Transfer in den Arbeitsalltag und die Einführung kollegialer Fallberatung in einem Unternehmen ist eine Möglichkeit, die vielfältigen internen Potenziale und das vorhandene Expertenwissen zu nutzen. Dadurch können externe Beraterkosten entfallen.
Außerdem glaube ich, dass durch die Forcierung kollegialer Beratung die informelle Kommunikation sich stetig verbessert und letztendlich damit auch die formelle Kommunikation optimiert wird. Je mehr kollegiale Fallberatung genutzt wird, umso mehr steigt das gegenseitige Vertrauen und auch die gegenseitige Wertschätzung. Es besteht die Chance, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken und gezielt zu nutzen.
Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass kollegiale Fallberatung auch herausfordernd im Einsatz ist. Gerade bezüglich des letztgenannten Aspekt des Vertrauens ist nicht zu unterschätzen, dass von den Beteiligten Ängste zu überwinden sind. In dem Moment, in dem man sein Problem als Ratsuchender schildert, gibt man sich als hilflos zu erkennen. Will man das Risiko eingehen, dass die Anderen sich eventuell überlegen fühlen? Und wieviel erzählt man wirklich von sich? Man sich trifft sich ja wahrscheinlich wieder in der Organisation oder dem Unternehmen. Will man dann, dass der Andere sich daran erinnert, in welcher Lage man sich befand und, dass man ein Problem nicht ohne fremde Hilfe gelöst bekam?